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Ich sag‘ mal meine Meinung

Anfang November erhielt ich eine Schülerinnen-Anfrage: Die Schülerin befasst sich im Rahmen ihrer abiturvorbereitenden Arbeiten mit dem Thema Multiple Sklerose, insbesondere mit

  • der Beeinflussung der Lebensqualität durch MS-Therapeutika und
  • den Bewertungen der derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten für Multiple Sklerose aus der Patientensicht

und erfragte dazu meine persönliche Einschätzung.

Da die Anfrage m.E. etwas unspezifisch war, setzte ich meinen Schwerpunkt in der Bewertung dabei auf die rein medikamentöse Behandlung, und verglich dabei meine Erfahrungen zwischen schulmedizinischen und „alternativen“ Präparaten, Wirkungen und Nebenwirkungen, für die ich auch Erfahrungswerte hatte.

Dabei ist viel Text mit viel Meinung herausgekommen, den ich dir nicht vorenthalten will (Meine Antwort ist kursiv gehalten, ergänzt habe ich strukturierende Überschriften und Nachträge):


Liebe A.,

[…] Gerne beantworte ich deine Fragen zum Thema MS. Das kann ich nur aus meiner persönlichen Sicht, die natürlich subjektiv und vom Erlebten geprägt ist.

Jede Art von Behandlung/Therapie, ob mit Medikamenten jeglicher Art, Körper- oder Mentalarbeit hat Wirkungen und auch Nebenwirkungen, erwünschte wie unerwünschte.

Jede davon beeinflusst wiederum die Lebensqualität, zum Guten wie zum weniger Guten. Und manchmal tut sich auch einfach gar nichts 😉

Wie und warum Therapien wirken, ist m.E. sehr individuell und was mir gut tut, muss dem/der Nächsten nicht unbedingt von Nutzen sein.

Zu einem gewissen Teil hängt die Therapiewirkung auch davon ab, mit welcher Einstellung man die Therapie verfolgt, ob/wie man der Therapie und der „Theorie dahinter“ vertraut, wie die Therapie ins eigene Leben und Weltbild passt.

So, das war mein Vorgeplänkel…

[Frage 1] Welche Erfahrungen habe ich hinsichtlich der Beeinflussung der Lebensqualität durch (MS-)Therapien?

Ich denke, ich beschränke mich auf medikamentöse Therapien.

Ich starte mal mit der konventionellen, schulmedizinischen Therapie.

Interferon

(1) Nach meiner Diagnose (2001 mit 22 Jahren) habe ich 12 Jahre lang das Interferon-Präparat Avonex (von Biogen) als sog. „Basistherapie“ gespritzt. Dieses injizierte ich mir 1x/Woche in den Muskel. Zuerst hab ich das allein gemacht, bis die Aversion dagegen so stark wurde, dass es zuerst Freunde und Familie übernommen haben, dann der Allgemeinarzt.

Bei mir wurde die Spritze Freitagabend immer zur Hürde, die es vor dem Wochenende zu überwinden galt. Das ist eine mentale Einschränkung, die ich mir selbst auferlegte. Warum Freitag und abends und nicht an einem beliebigen anderen Wochentag? Zur Anwendung am Abend rät der Pharmahersteller, um die Nebenwirkungen zu „verschlafen“. Der Freitag war meine Idee, um das folgende Wochenende zur Regeneration zu nutzen. Das „Verschlafen“ klappte nur mit mind. 1 Tablette Paracetamol 500mg, später nur noch mit mind. 1 Tablette Ibuprofen 400mg und einer frühen Schlafenszeit.

Die Nebenwirkungen waren bei mir die einer (echten) Grippe: starke Gliederschmerzen, Schüttelfrost, leichtes Fieber. Eine Gewöhnung trat in den ganzen 12 Jahren nicht ein. Dabei darf ich mich aber noch zu den Patienten auf der Sonnenseite zählen, ich hatte die Nebenwirkungen nur in der Nacht nach der Injektion – ich kam i.d.R. mit 1-2 Schmerztabletten aus (ich weiß von Fällen, die mehrere Tagen die Nebenwirkungen spürten).

Die Dauereinnahme von Schmerzmitteln belastet die Leber, daher wurden meine Blutwerte regelmäßig kontrolliert. Auch hier war ich auf der Sonnenseite: wenig Schmerzmittel, gesunde Leber.

Avonex ist mein einziges Basistherapeutikum geblieben, ich habe es Ende 2012 abgesetzt.

Rückblickend sehe ich folgende Einschränkungen:

  • Die Anwendung zieht einen Rattenschwanz an Folgeaktionen nach sich: Avonex – Schmerzmittel – Kontrolle Leberwerte.
  • Die Spätfolgen der Anwendung kennt noch keiner.
  • Das Selbst-Spritzen erfordert Überwindung und führte bei mir am Ende zu Angst vor dem Selbst-Spritzen, das Fremd-Spritzen erfordert logistische und zeitliche Aufwendungen und Koordination (denk an eigenen und Arzt-Urlaub, Feiern u.ä.).
  • Die Nebenwirkungen „vergehen“ nicht: sie sind da, solange die Therapie gemacht wird.
  • Dazu kommt eine Verunsicherung ggü. der Wirksamkeit des Medikaments, wenn Verschlechterungen oder Schübe unter der Therapie auftreten.

(2) Ich habe bisher 2x Kortison während 2er Schübe bekommen. Dabei wird das Präparat an nur wenigen Tagen hochdosiert i.v. gegeben, als sog. Stoßtherapie. Kortison wirkt stark entzündungshemmend und lässt die Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark abschwellen. Dadurch werden die Symptome des Schubes gemindert.

Nebenwirkungen habe ich erlebt in Form von Tatendrang und Euphorie. Die hohen Dosen durchfluten dich regelrecht, und du denkst, du könntest jetzt richtig loslegen und Bäume ausreißen. Das ist trügerisch. Nach Beenden der Stoßtherapie werden die hohen Dosen mit kleinen Dosen „ausgeschlichen“. Dennoch folgt der Euphorie ganz oft der tiefe Fall in Form von depressiver Verstimmung, Abgeschlagenheit, einem Gefühl, in ein „Loch gefallen“ zu sein.

Zusammenfassend meine ich, dass Kortison die Lebensqualität in beide Richtungen beeinflussen kann, es lindert effektiv Entzündungen – aber um den Preis der Vorspiegelung falscher Kräfte und dem  „dunklen Loch“ danach.

Ich habe nach 2012 einen anderen, aus schulmedizinischer Sicht unkonventionellen Weg eingeschlagen.

Warum? Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, heißt es. Ich begann, an den Aussagen der Pharmaunternehmen zu Wirksamkeit und Schubratenreduzierung zu zweifeln, weil ich zum einen gelernt hatte, selbst Statistiken „aufzuhübschen“, zum anderen bei mir einen stillen Krankheitsfortschritt bemerkte. Das alles weit vor 2012, aber auch hier zeigt sich eine „Nebenwirkung“ und eine Einschränkung der Lebensqualität: im Marketing-Sprech wäre das „Markenbindung“, die mentale Abhängigkeit vom Präparat (i.S.v. „besser das als gar nix“).

Ayurveda

Ab 2013 habe ich mich dem Ayurveda zugewandt und bis jetzt 3x ein Center in Kerala/Südindien zur MS-Behandlung besucht.

Meine Lebensqualität hat sich während der Aufenthalte verbessert. Dies schreibe ich der Umgebung, der Entschleunigung, dem „Weg von allem“, dem „Abenteuer“, der körperlichen Zuwendung durch die tägliche Visiste und tägliche Ölmassage etc. zu. Der Geist findet Ruhe durch Ayurveda, der Körper findet Stärkung, die Seele findet Frieden. Das ist das Konzept und die Stärke aller ganzheitlich ansetzenden Medizinsysteme: alle Teile des Menschen als Einheit zu sehen und zu behandeln. In einer Therapie, an einem Ort.

Als Nebenwirkungen habe ich festgestellt:

  • Der Geldbeutel leert sich, die Therapie ist teuer.
  • Ich bin resistenter ggü. Hitze geworden.
  • Die ganzheitliche Behandlung führt hin zu einer Beschäftigung/Reflexion mit sich selbst. Das fördert auch Unschönes zutage.
  • [NACHTRAG: Ganz nebenbei ist mein Heuschnupfen verschwunden. Eine Belastung weniger!]
LDN

2015-2016 habe ich zusätzlich eine Therapie mit LDN (low dose Naltrexone) gemacht. LDN hat keine nennenswerte Wirkung auf meine Lebensqualität gehabt. Ich habe unter der Anwendung leichte Verbesserungen gehabt, die aber wieder verflogen.

Coimbraprotokoll

Seit September 2017 folge ich zusätzlich dem Coimbraprotokoll, einer Therapie mit ultrahohen Dosen an Vitamin D3. Ich bin noch in der Phase der Dosisfindung, daher ist es für eine umfängliche Einschätzung noch zu früh.

Du kannst aus meinen Schilderungen herauslesen, dass ich persönlich die „Basistherapien“ als Lebensqualität mindert erlebt habe, aber insb. den Ayurveda als Lebensqualität mehrend.

[Frage 2] Wie bewerte ich die Behandlungsmöglichkeiten bei MS?

Kosten

Anerkannt und etabliert ist die konventionelle, schulmedizinische Behandlung mit einem Basistherapeutikum. Das wird auch von den Kassen bezahlt. Die dazugehörigen Studien werden durch die Hersteller finanziert. Rohdaten der Studien sind nicht einsehbar, nur die ausgewerteten Daten, die in bunten Broschüren landen. Die Kosten sind extrem hoch (meine Avonexvariante kostet ca. 1650 EUR/Monat = 19.800 EUR/Jahr). Nebenwirkungen treten definitiv auf, die nur mit weiteren Medikamenten zu behandeln sind. Alle Nebenwirkungen sind von der negativer Sorte.

Die Wirkstoffe zielen darauf ab, selektiv das Immunsystem zu modulieren oder sogar zu unterdrücken. Zusammenhänge in den Regelkreisläufen des Körpers werden m.E. ausgeblendet. Durchweg alle Wirkstoffe auf dem Markt arbeiten nach demselben Schema. Keines bringt dauerhaften Mehrwert für den Patienten i.S.v. Remission oder Heilung. Der Mehrwert besteht für die Pharmafirmen darin, mit viel PR Präparate auf den Markt zu bringen, für welche sie Mondpreise verlangen können, denn der gebeutelte Patient wünscht sich ja Hilfe. Die Hilfe bleibt aber weitestgehend aus, denn ein gesundeter Patient ist ein schlechter Pharma-Kunde.

Im Vergleich zum Avonex haben mich 60 Tage indische MS-Ayurveda-Behandlung plus Medizin für das Folgejahr rund 8.000 EUR/Jahr gekostet. Negative Nebenwirkungen, außer Fernweh, traten nicht auf. Die Kosten wurden von Krankenkasse oder Finanzamt nicht anerkannt.

Auch hier kannst du herauslesen, dass ich die schulmedizinischen Therapien kritisch sehe, vor allem bzgl. des Nutzen-Kosten-Verhältnisses. Nur werden diese von uns allen über die Solidarsysteme finanziert, viele alternative Therapien aber privat.

Fazit

[…] Die schulmedizinischen, pharmaindustriellen Präparate sind Blendwerk, für Patienten und Ärzte. Alternativmedizinische Behandlungen werden in ihren Wirkungen verkannt.

Der Fehler steckt im System. Solange im konventionellen Medizinsystem die Heilsversprechen honoriert werden und nicht die Heilung selbst, ist man als Patient verloren, ein Spielball und Versuchskaninchen.

So das wars erst mal. Ich habe mich jetzt ganz schön ausgelassen, aber es gibt m.E. keine einfachen und kurzen Antworten… Lass es erst mal sacken und wenn du weitere Fragen hast oder dir manches unklar ist, dann schreib mir. […] Herzliche Grüße, Marit


Ich hätte noch viel weiter ausholen können, wenn mir nicht vorher die Finger erlahmt wären… Sicherlich habe ich subjektiv und nicht immer stringent geantwortet, bestimmt habe ich eigentlich Wichtiges vergessen.

Wenn dem so sei, dann freue ich mich auf deinen Kommentar zum Thema!

Auch interessant: Die Quadratur des Dreiecks – Das Stufentherapie-Schema der MS

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Bildquellen

  • 055_BlogImage: Marit Mueller

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. M
    Marie

    Ein augenöffnender Text über die Macht und Vorherrschaft der Pharmakonzerne. Getreu dem Motto „viel hilft nicht immer viel“. Die KV sollte mehr Wahlfreiheit bei bestimmten Krankheiten zulassen und dem Patienten mehr Gestaltungsspielraum und Mitentscheidung. Das ist mein Fazit.

    1. M
      Marit Mueller

      Liebe Marie, danke für deine Antwort. Da das System „Sach“verständige-KV-Pharma-Politik in sich selbst so geschlossen ist, ist ein Auf-/Einbrechen mit neuen Ideen schwierig… Das ist schade, denn es torpediert die Hoffnung, dass Gesundheit etwas wert wäre.

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