Nichts ist fest und von Dauer.
Joseph Goldstein
Wie sie ist
Unperfekt geht’s auch
Und sie sitzt in der Runde und erzählt: „Und urplötzlich fällt mir ein: Ich muss ja noch zur Post, die schließt ja gleich!!! Und ich springe vom Schreibtisch auf […] und in der Postfiliale schau ich an mir runter und merke, dass ich einen Straßenschuh anhabe und einen Hauspantoffel! – Und das passiert mir! Der Achtsamkeitslehrerin!“
Sie lacht herzlich.
Und ich, ich atme leise tief durch. Wenn auch ihr diese Kopflosigkeit passiert, wenn auch sie keine 100 Prozent schafft, dann darf auch ich unperfekt sein…
Was für eine Erleichterung. Und mein erstes großes Lehrstück. Es ist 2009.
Ausbrechen ist erlaubt
Und dann macht sie den Vorschlag, einfach die Zeitumstellung zum morgigen Sonntag zu ignorieren. Dass wir, als Gruppe, den Sonntag noch in der „alten Zeit“ beginnen. Und erst später, wenn wir alle, jede und jeder auf dem Heimweg ist, die Uhr auf die „offizielle, neue Zeit“ umstellen.
Dass sowas möglich ist…? Dass man sich das erlauben darf in unserer getakteten Welt? Was für eine Befreiung. Vielleicht sind wir an diesem Sonntag die einzigen 10 Menschen, die sich das getrauen: Abseits der Uhr zu leben. Es ist 2010.
Die Idee behalte ich bei. In der Woche nach der Zeitumstellung im Frühjahr gibt es Urlaub. Auszeit vom Zeitdiktat.
Aufgehen im Sein
Ich weiß, dass sie noch in ihrem “ersten Berufsleben” mit Achtsamkeit in Berührung kam. Dass es für sie wie eine Offenbarung gewesen sein muss, das Konzept und die Zugewandtheit, die von der Achtsamkeitsorganisation breathworks gelehrt wird, selbst zu erleben: “Da wusste ich, das will ich für den Rest meines Lebens machen!”
Ich kenne nur diesen kleinen Teil von ihr. Den, in dem sie herzlich ist, offen und ehrlich mitfühlend. In dem sie Rat weiß, ohne gute Ratschläge zu geben. In dem sie bewusst und liebevoll formuliert. In ihrem Lebens-Teil als Achtsamkeits-Lehrende, in dem ich sie kenne. Und ja, auch liebe.
Über die Zeit wandelt sich meine Ahnung immer mehr zu der Gewissheit, dass das nicht nur ein Teil von ihr ist. Dass sie so ist. Dass sie breathworks lebt. Vollends.
Wie ich sie verliere
Und ich sitze nachmittags am PC und öffne eine E-Mail, abgesendet von ihrer Adresse.
Ich freue mich, denn sicher gibt es Neuigkeiten über das baldige Achtsamkeits-Wochenende. Ich buche es jedes Jahr, es ist mein Anker im Jahreslauf. Ein wirkliches Abtauchen für nicht mal 48 Stunden.
Ich jongliere Gedanken über neue Haussocken, in denen ich meine Orthese tragen kann, über Extrawünsche für die Küche, über ein Wiedersehen mit lang entbehrten Menschen, die ich nur einmal im Jahr sehe.
Was ich erlebe
Und ich öffne die E-Mail.
Und die Umgebung schrumpft zusammen auf den Monitor, der die Nachricht anzeigt. Die Ohren gehen zu und ich höre mich atmen wie in einer Taucherglocke. Mein Herz schlägt jetzt in meiner Kehle aber pumpt kein Blut. Mir ist heiß, ich transpiriere, aber hab eiskalte Hände. Alles Jonglieren endet jäh. Ich bin aus meiner Bahn gestoßen.
Was ist das für eine Nachricht? Ich verstehe sie nicht. Mir kommen die Tränen. Ich verstehe nicht.
Sie ist gestorben. Sie ist tot.
Sie ist fort. Sie ist nicht mehr da.
Und das für immer. Vollends.
Wer wird jetzt da sein? Für mich.
Ich erlebe einen so unglaublich tiefen Verlust, es ist schwer zu beschreiben. Meine Traurigkeit ist unendlich. Meine Tränen sind so groß und fließen so schnell.
Ich will, dass es nicht wahr ist, dass es wieder gut wird.
Und ich durchlebe echtes Selbstmitleid. So vieles kann ich annehmen und in meinem Leben einordnen. Aber das nicht! Das will ich nicht annehmen.
Es ist so eine Zumutung. Für die ich nicht den Mut habe. Die ich nicht verdient habe. Die ungerecht ist. Die ich nicht haben will.
Ich werde nicht gefragt, ich stehe vor vollendeter Tatsache.
Und ich wüte gegen alles. Gegen das Universum, gegen Gott, gegen all das Große und Unbegreifbare. Ich will diese Aufgabe nicht, die des „komm damit klar, es ist jetzt so“. Ich habe nicht um diese Aufgabe gebeten.
Und ich trete jedem ans Schienbein, der so scheißkluge Sätze absondert wie „Es passiert, wenn du bereit bist“. Einen Scheiß bin ich. Ich bin nicht bereit, sie gehen zu lassen. Aus ihrem und meinem Leben. Diesen Weg allein weiter zu erkunden. Ich will noch nicht bereit sein.
Wer wird jetzt da sein? Für ihn und für uns alle.
Wie sie fehlt – 101
Sie fehlt als Mensch. Als Lehrerin. Sie fehlt in ihrer Direktheit, in ihrer Zuwendung. Sie fehlt in ihrer Heilwirkung. Ihrer Unvoreingenommenheit. In ihrer Güte.
Es gibt Menschen, die fehlen, wenn sie gehen. Nicht nur auf persönlicher Ebene. Nein, es gibt Menschen, die fehlen der ganzen Gemeinschaft, der Gesellschaft.
In Werk, Wirken, Wirkung.
Einhunderteins.
https://whoswho.de/sonderseite/die-100.html
Was sie mir schenkt
Gemeinsame Zeit
Sie besuchen gemeinsam das Leipziger Bachfest 2017 und wir treffen uns in der Leipziger Innenstadt für einen Nachmittag mit Plaudern, Kaffee und Kuchen. Außerhalb des Lehrens und Übens, aber was heißt das schon.
Ich lerne immer bei ihr und ihm. Und wenn es allein die Worte, der Umgang, die Lebensbejahung sind. Aus diesen Stunden ziehe ich Kraft fürs ganze Jahr.
Eins
Und sie trägt ihren neuen Namen, als ich sie wiedersehe. Einen, den sie von ihrer (Lehr)Meisterin erhielt: „Sie sagte mir, sie hat ihn für mich aufbewahrt, bis ich bereit für die Ordination war.“
Ihr Name ist schön, weich und wohlklingend. Und wirklich wohl überlegt: „Mein Name bedeutet ‘Die das Spiel der liebenden Güte innehat‘”. Und sie strahlt.
Sie und ihr Name sind eins. Vollends.
Wie ich umgehe mit all dem, was nicht sein darf
Jeder erlebte Verlust fühlt sich anders an. Jeden erlebe und durchlebe ich anders. Es gibt keine Blaupause. Es ist auch schwer zu üben, das „verlieren auf immer“.
Alle paar Tage stecke ich fest in tiefster Traurigkeit. Da erscheint mir ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre bunten Socken, Gestik und Lachen. Alle Erinnerung tut weh.
Was mir hilft
Zeit online | Trauerarbeit. Der Tod der anderen
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Psychologie-Trauer/komplettansicht (26.04.2023)
Ätherisches Öl | Verwende ich, wenn mich Trauer überkommt
https://www.loewen-manufactur.de/Niendorfs-Loewenherz/8000003
Aaronitischer Segen | 4 Mose 6,24-26. Eine Audioaufnahme von Solosängern des Chors der St. Rochus Kirchgemeinde Schönau höre ich zur emotionalen Heilung. Sie ist ein sehr exklusives Geschenk.
https://www.rochus-schoenau.de/
Musik auf Grundlage der Solfeggio Frequenz auf 417 Hz | Höre ich zum Selbst-Pampern und zur emotionalen Heilung.
Über Metta Bhavana Meditation der Liebenden Güte
https://www.freebuddhistaudio.com/talks/details?num=LOC229&c=n
http://www.triratna-buddhismus.de/meditation/liebende-guete/
https://www.yoga-vidya.de/meditation/meditationstechniken/maitri-bhavana-meditation/
Für mich allein
Eine erste Fassung dieses Textes schreibe ich anderthalb Monate „danach“, ich heule Rotz und Wasser. Bis zur überarbeiteten Fassung vergehen weitere vier Monate, dann sitze ich angespannt am Schreibtisch, es schmerzt in der Brust.
Ich lasse den Text in Fragmenten stehen, frei jeder SEO-Optimierung. Dass ich ihn überhaupt veröffentliche…
Aber geschrieben sein will er. Das ist das, was ich tun kann, um an sie zu erinnern. Aber bin ich ehrlich, ich schreibe den Text nicht für dich. Sondern nur für mich allein. Damit ich festhalten kann, was ich verloren habe.
Ihr Name ist Maitrilila.
Und dies ist der einhunderterste Blogartikel.
Bildquellen
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