Du wirst mich nicht mehr los!
… Sagt er.
Wenn ich mich in diesen Satz vertiefe, schnürt sich mir die Kehle zu.
Dann merke ich, dass er es ernst meint, dass er sich scheinbar nicht abbringen lässt vom Zu-mir-stehen…
Dann merke ich, dass ich mich damit fast überfordert fühle, weil diese Worte in ihrer letzten Konsequenz so etwas ungeheuer Großes bedeuten…
Dann merke ich, dass ich mich unendlich klein fühle, unbedeutend, der Rede und der großen Worte nicht wert…
… Sagt sie.
Und macht, dass ich mich festhalten muss. Am Stuhl, am Tisch. Am Türrahmen, an der Wand. An allem. Und doch nichts habe, nach dem ich wirklich greifen kann.
Und sie macht, dass ich stets nur mit ihr beschäftigt bin. Am Tage mit Schwere im Kopf, mit Blei in dem Gelenken. Doch in der Nacht, da reißt sie mir die Beine heraus, verrenkt mich, verbrennt mich. Auf dass ich Tags drauf wieder die Schwere spüre.
Und ich merke, dass ich mich damit fast überfordert fühle, weil diese Worte in ihrer letzten Konsequenz wahrhaftig bedeuten: Sie ist ein Teil von mir. Das war sie schon immer, Zeit meines Lebens. Und wird es auf ewig bleiben. Bis zum Ende meines Lebens.
Last? Ballast? Belastung?
… Ist er gefragt worden.
Ob er sich das gut überlegt habe, das mit mir. Wo ich doch nicht so kann, wie normal. Wo man doch nicht wisse, wie das mal mit mir werde.
Er hat mir davon erzählt, von diesen Fragen.
Er hat mir auch davon erzählt, wie unverständlich er das alles fand…
Ich fand diese Fragen anmaßend! Und doch:
Wünscht man sich nicht das Beste fürs eigene Kind? Ein leichtes Leben – ohne Last? Vielleicht sind diese Fragen gar nicht anmaßend. Sondern einfach nur menschlich? Dem Unvermögen, dem Unwillen des Sich-Einfühlens geschuldet?
… Frage ich mich selbst.
Jetzt, wo ich merke, dass ich anders bin als normal. Dass ich behindere. Verhindere.
Ich bin dankbar, dass ich ihn habe. Er ermöglicht mir viel. Er nimmt mir viel ab. Er packt mich nicht in Watte. Er macht seine Sprüche. Er sitzt meine Gemütsstürme aus…
Und doch: Bremse ich ihn? Belaste ich ihn? Verlange ich zuviel?
… Fragt er sich das auch?
Wie viel er zu tragen bereit ist? Zu ertragen?
Wenn ich wieder wilde Ideen habe. Wenn ich ihn wiederholt aufscheuche. Wenn ich es mir zu einfach mache. Wenn ich spekuliere über den Ausgang des Lebens. Wenn ich wüte, gegen mich selbst und die Welt…
Denn: Irgendwann ist jeder Bogen überspannt. Ist die Grenze erreicht. Sind Belastung und Forderung zu groß.
Werde ich verlassen?
… Fragte sie mich.
Sie, das war eine, die krank war. Ich fand sie ganz nett, und gleichzeitig ganz schrecklich verschroben.
Stellte sie mir doch allen Erstes diese Frage: „Marit, wird er mich verlassen?“
Sie sagte, sie habe wirklich die Befürchtung, dass ihr Ehemann sie verließe. Weil sie krank sei. Weil das keine Seltenheit sei, dass frau verlassen werde wegen einer Erkrankung…
Ich empfand das als abwegig. Verschroben. Undenkbar.
Undenkbar, weil ich bisher nie darüber nachgedacht hatte.
… Frage ich mich.
Denn es passiert nun mal, dass der andere nicht mehr kann. Nicht mehr will. Und im Grunde ja auch das Recht hat, zu gehen. Treueschwüre hin oder her.
Auch wenn es heißt, in guten wie in schlechten Zeiten. Schlechte Zeiten sind schwer ertragbar. Schlechte Zeiten sind belastende Zeiten.
Erleichtert es dann nicht, sich zu befreien? Den Ballast loszuwerden. Den man vielleicht nie wirklich wollte, dessen Ausmaß man verkannte?
… Fragt er sich das auch?
Denn so abwegig ist der Gedanke nicht. Den anderen gehen zu lassen, ihn frei zu geben. Aus der Verantwortung zu entlassen. Zu entpflichten.
Und das manchmal gegen seinen Willen. Denn ist dies nicht klar bevormundend? Eine Vorwegnahme der Entscheidung? Lieber verlasse ich, als dass ich verlassen werde?
Denn so habe ich es einmal beobachtet. Sie war krank, und er an ihrer Seite. Und doch verließ sie ihn. Er wirkte wie verstoßen, ausgeschlossen aus ihrem Leben. Für sie war es ein ihn-frei-geben, wohl auch ein selbst-frei-werden.
Und wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich auch schon einmal solch Gedanken. Ihn frei zu geben. Ihn von mir, von der Last zu befreien… Ihn ziehen zu lassen.
Und selbst einfach zu gehen…
Doch fürchte ich, ich käme nicht weit…
Er würde mich einholen, nach nur wenigen Schritten:
Du wirst mich nicht mehr los!
… Sagte er dann.
Und ich.
Ich müsste mich festhalten an ihm, wie so oft.
Und ich wüsste, er würde nicht loslassen.
Und ich wäre beschämt, ob seiner Liebe.
Ohne die das Leben doch so viel weniger lebenswert ist.
…
Ich wünsche dir Liebe. Für den Einen, für die Eine. Von ganz vielen. Für ganz viele(s).
Und ich wünsche dir Liebe für dich selbst. Denn dort beginnt sie, die Liebe…
Kacey Musgraves: „Somebody to love“
(ext. Link zu YouTube)
We’re all hoping, we’re all hopeless. We’re all thorns and we’re all roses. We’re all looking down our noses at ourselves. We’re all flawed and we’re all perfect. We’re all lost and we’re all hurting. And just searching for somebody to love.
We’re all liars, we’re all legends. We’re all tens, that want elevens. We’re all trying to get to heaven, but not today. We’re all happy, we’re all hatin‘. We’re all patiently impatient. And just waiting for somebody to love.
We’re all good, but we ain’t angels. We all sin, but we ain’t devils. We’re all pots and we’re all kettles. But we can’t see it in ourselves. We’re all livin‘ ‚til we’re dying. We ain’t cool, but man, we’re trying. Just thinking we’ll be fixed by someone else.
We all wrangle with religion. We all talk, but we don’t listen. We’re all starving for attention then we’ll run. We’re all paper, we’re all scissors. We’re all fightin‘ with our mirrors. Scared we’ll never find somebody to love.
We’re all good, but we ain’t angels. We all sin, but we ain’t devils. We’re all pots and we’re all kettles. But we can’t see it in ourselves. We’re all livin‘ ‚til we’re dying. We ain’t cool, but man, we’re trying. Thinking we’ll be fixed by someone else.
Just tryin‘ to hold it all together. We all wish our best was better. Just hopin‘ that forever’s really real. We’ll miss a dime to grab a nickel. Overcomplicate the simple. We’re all little kids just looking for love. Yeah, don’t we all just want somebody to love?
Bildquellen
- 080_BlogImage: Marit Mueller
liebe Marit,
was für ein wunderbar treffender Beitrag….ich kann jedes einzelne Wort davon unterschreiben…..danke, dass du diese Worte dafür gefunden hast !
Einzig fehlt der Aspekt, dass man sich selbst aus dem Leben nehmen möchte, wenn es zu unerträglich wird….umd die Frage, wie mache ich das ?? …und die Frage, was macht es mit IHM und mit den ANGEHÖRIGEN ?
ich wünsche dir einen schönen Tag, einen schönen Abend….oder besser, viele davon !
liebe Grüße Karin
Liebe Karin,
es berührt mich, dass du dich im Text wiedergefunden hast…
Ich gebe zu, dass mir der „fehlende Aspekt“ des Ausscheidens beim Schreiben nicht in den Sinn kam. Das macht mich jetzt im Moment des Bemerkens ganz froh. Bedeutet es doch, dass dieser Aspekt gerade keine Option für mich darstellt. Und doch darf ich sagen, dass ich mir schon mehrmals Gedanken darüber gemacht habe. Ob es nicht Zeiten und Konstellationen geben wird, in denen ein selbstbestimmtes Ausscheiden hilfreich wäre. Diese Gedanken führten mich stets zu dem Punkt, dass es mir „selbst im Tode“ das Herz zerreißen würde, IHN allein zu wissen… Das hätte ER nicht verdient, und wäre eine feige Kapitulation meinerseits vor dem Leben.
Ich meine aber auch, dass dieser Aspekt im Gedankenuniversum seine Berechtigung hat. Um immer wieder neu abgewogen zu werden ob seiner Notwendigkeit. Zur Durchführung selbst habe ich keinen finalen Plan, doch ich meine, dass die Zeit für jene spielt, die zukünftig abwägen wollen/müssen. Die Lebenswelt ist in rasantem Wandel, und so werden sich auch die Wege hin zur Anderswelt wandeln.
Doch wenn wir jeden unserer Tage zuversichtlich beginnen und dankbar beschließen, werden wir, so meine ich, glücklich leben bis ans Ende unserer Tage.
Auf ein märchenhaftes, Liebe-volles Leben!
Herzlichst, Marit
liebe Marit,
was ich befürchte ist, dass uns ein langes, langsames, quälendes Sterben bevorsteht, welches auch den Angehörigen schwer ist mit anzusehen….nicht nur für einen selbst hart ist.
Weiß nicht recht, ob das dann tatsächlich eine „feige Kapitulation“ wäre….aber das ist, wie so oft, eine Frage des Standpunkts und jeder muss für sich selbst damit Klärung finden.
AAABER….heute scheint ganz wunderbar die Sonne. es liegt ein Hauch Frühling in der Luft und solche Gedanken kann man erstmal zur Seite schieben und genießen ;o)
liebe Grüße
Karin
Liebe Karin,
ich gebe zu, dass ich kein Wissen oder Erfahrung dazu habe, wie sich das Sterben eines Menschen gestaltet, ob mit und ohne MS. Wohl, weil es da so viele Varianten wie Menschen gibt. Wohl auch, weil ich mir das Vertrauen erlaube, dass mein Sterben ganz wunderbar normal laufen wird. Wenn schon das Leben so unverschämt unnormal zu leben ist.
Aber ich will diese Zukunft nicht in die Gegenwart vorholen.
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Entscheidung. Lass uns im Heute leben – so wie du sagst!
Liebe Grüße, Marit
P.S. Schreib mir eine Email, wenn dir danach ist, diesen finalen Aspekt als Thema weiter zu verfolgen.